18. Dezember

18. Dezember

 das art of advent Präsent

hier finden Sie weihnachtliche Worte zur Adventszeit von dem Autor Karl-Heinz Franzen

 

Elisabeth und ich und Weihnachtszeit

 

Wann ist es besinnlich? Wann ist uns wohlig warm vor dem Kamin? Wann sind unsere Stimmen leiser und unsere Worte zärtlicher? Habt ihr es schon erraten? Ja? Ob Ja oder Nein. Ich werde es hier niederschreiben. Es sind die vier Adventstage, der Nikolaustag am sechsten Dezember und?

Ja, natürlich, und allen Festen voran: Bei uns der Heilige Abend und das Weihnachtsfest!

Am Schönsten sind diese Tage, wenn draußen weiß vom Schnee berieselt den kahlen Bäumen ein neues Kleid entsteht, mehr und mehr die Flocken fallen und der Frost die weiße Freude unter den festen Stiefeln knirschen lässt. Dann ziehen wir unsere wärmsten Sachen an. Die dicken, fett eingecremten Winterstiefel, die langen, angerauten Unterhosen unter die Jeans. Die jedem Winterwetter trotzende Lammfelljacke wird bei Mutter gekrönt mit einem Fuchsfellkopf. Unter diesem schaut sie hervor wie aus einem kleinen Fenster. Mit roter Nase und angefrorenem Tropfen an der Spitze. Uns wird der Zinken eisig und rot vom Zugwind auf dem Schlitten, der noch von Uropa gebastelt wurde und der schnellste in der ganzen Gegend ist. Auf Bauer Lamprechts Weide ist schon seit Jahrzehnten mit seinem riesigen Hünengrab im Winter die beste Abfahrtspiste. Er ist stolz darauf und hilft mit seinem Trecker und dem vorge-bauten Flug, so gut er kann, und es wirklich nötig ist. So kommen wir nach Stunden wilder Bergauf- und Bergabtouren am Abend wieder nach Hause. Wir sind verschwitzt und doch leicht verfroren. Aufgeregt und doch todmüde.

Im Eingangsflur fliegen alle Sachen vom Leib. Mutter wird alles wegräumen zum Trocknen in den Heizungskeller. Sie hat schon das heiße Badewasser eingelassen und meine Schwester und ich steigen hinein. Langsam. Langsam. Langsam. Die kalten Glieder erschrecken sich vor der Hitze weniger als unsere Gefühle. Dann stecken wir bis zum Hals im Schaum und in Eukalyptusdüften.

Meine Schwester fängt an zu summen, und singt sehr bald mit offenem Munde, wo ich so die eine oder andere Zahnlücke entdecken kann, und vollem Herzen: „Es ist ein Ros´ entsprungen“. Ich schäme mich, aus welchem Grunde auch immer, ein bisschen. Doch lange kann ich mich dem Zauber von Elisabeths glockenreiner Stimme nicht entziehen. Sie strahlt mich an. Ich lächle sie an und beginne, wie sie, mit etwas Summen, und dann schlage ich aus voller Kinderbrust mit ein. Unsere Augen glän-zen und das nicht nur vom heißen Wasser mit den Eukalyptusdüften.

Mutter und Vater stehen hinter der halb geöffneten Tür und halten sich eng umschlungen und lauschen uns hingebungsvoll versunken im Glauben an die Familie. Gut, dass wir das erst später einmal erfahren. Später, als wir schon peinlich darauf achten, dass die Badezimmertür verschlossen bleibt und jeder sein eigenes Bade-wasser benutzt. Von wegen auch noch das gleiche Handtuch zum Abrubbeln. Und immer noch gesungen? Ja, vielleicht gesummt gesungen.

Heute aber sind wir glücklich und singen uns in Stimmung. Und als wir es uns in unseren kuscheligen Turnanzügen auf dem Fell vor dem lodernden Kaminfeuer gemütlich machen, da zündet Vater seine Pfeife mit dem wohl duftenden Tabak an. Es ist der vierte Advent und morgen ist Heilig Abend. Der frisch geschlagene Tannenbaum wartet draußen vor der Tür auf der Terrasse. Er wartet mit uns. Er wartet auf sein festliches Kleid, dass wir ihm morgen gemein-sam mit Mutter und Vater anlegen werden. Er freut sich, dass er die vier Adventskerzen von ihren feierlichen Stunden ablösen darf und sich mit seinen einunddreißig Lichtern vor jedem Dezembertag verbeugen darf. Er freut sich auf unsere beiden Gedichte, die wir mit gefalteten Händen aufsagen werden. 

Wir sind total aufgeregt. Hoffentlich klappt es diesmal fließend und kein Stottern zwischendurch. Meine Schwester ist jedes Mal besser als ich. Auch wenn sie zwei Jahre älter ist und mir so einiges voraus, so stört mich das doch. Ein wenig jedenfalls. Mutter und Vater stehen, wie hinter der Badezimmertür, so stelle ich es mir heute vor, mit ebenfalls roten Ohren und feuchten Händen hinter uns. 

Dann fliegt das Geschenkpapier mit heftigem Reißen von den sorgsam eingewickelten Präsenten. Meine Schwester knüpft noch fein ordentlich an den Schleifen, da habe ich meine Überraschungen schon hinter mir, meinen Eltern die verdienten Küsse aufgeschmatzt und baue den ersten Schienenkreis meiner nietenagelneuen Modelleisenbahn auf. Morgen, am ersten Weihnachtstag, kommen die Omas und Opas und Tante Klara mit ihrem neuen Freund. Dann gibt es bestimmt noch ein paar Schienen dazu. Vielleicht sogar Weichen. Bah. Oder noch einen ganzen Güterzug. Wenn sie alle mit dem Geld zusammengelegt haben, dann könnte es bestimmt gehen. Weichen und ein Güterzug. Das passte mir gut zum gerade eröffneten Personenverkehr.

Meine Schwester wird zu ihrem Puppenpärchen noch den ersehnten Puppenwagen bekommen. Das wünsche ich ihr. Er muss ja nicht neu sein, wenn er zu teuer ist. Schließlich nehmen meine Eisenbahnpläne einen nicht unwesentlichen Teil der finanziellen Mittel ein. Die neuen Handschuhe und die Pudelmützen werden wir allen Freunden zeigen. Und den Puppenwagen darf ich auch ein Stückchen schieben, weil meine Schwester zur Schaffnerin befördert worden ist. Zum Beweis für meinen im Wohnzimmer kreisenden Personen- und Güterverkehr nehme ich den Karton der Diesellok mit. Das Bild darauf ist ziemlich in Originalgröße und meine Freunde werden sich für die nächsten Nachmittage bei mir einfinden.

Dass der Puppenwagen meiner Schwester nietenagelneu ist und meine Ausrüstung für den Güterverkehr schon bei Tante Klaras neuem Freund im Fahrplan war, ist nur ein kleiner, bald vergessener Makel, für mich. Der Freund ist wirklich super. Zu meinem Geburtstag darf ich auf den Ausbau des Verkehrsnetzes hoffen. Ach, wäre er doch schon morgen. Hoffentlich erzürnt sich Tante Klara nicht mit ihm. Das könnte ich ihr nie verzeihen.

Opa Karl wird nach dem Spaziergang zu einem Gläschen Punsch am Kamin gemeinsam mit Vater ein Pfeifchen rauchen. Die beiden Räuchermännchen mit ihren gekrümmten Rücken und den dicken Säcken darauf werden mit in den süßen Duft einstimmen. Und dann geht es los. Das wissen wir und können es kaum erwarten. Nur für den Weihnachtsbaum, der in voller Festbeleuchtung strahlt, ist das alles neu. Mutter legt noch ein paar neue Holzscheite auf das Kaminfeuer, damit es richtig prasselt und kracht und sprüht.

Wenn Opas Bass und Vaters Tenor „Stille Nacht, Heilige Nacht“, für uns gesungen haben und wir alle zusammen „Vom Himmel hoch, da komm ich her“, dann glühen unsere Seelen. Wir sind bereit für die Weihnachtsgeschichte, die Opa Karl und Vater uns erzählen werden. Jedes Jahr eine Neue … und wahr muss sie sein. Später einmal erfahren wir, welch große Mühe sich die beiden geben für diese kleine, heilige Stunde gemeinsam am Kaminfeuer. Später ist ungefähr die Zeit, als wir nicht mehr zusammen in das Badewasser steigen.

Für Vater und Opa Karl ist nach dem Weihnachtsfest vor dem Weihnachtsfest. Sie treffen sich regelmäßig, um ihre Ideen und gesammelten Geschichten zu besprechen. Bis dann endlich die Geschichte gefunden ist, die uns im Kerzenlicht immer wieder so in weihnachtliches Beten und Hoffen führt. Den ganzen Dezember proben sie ihre Partien für unseren ersten Weihnachtsfeiertag unterm Tannenbaum am Kamin.

Opa Edwin bleibt mehr seiner praktischen Natur verhaftet und sorgt fortwährend für das winterliche Kaminholz aus der Uckermark. Unsere Omas und Mutter lassen ihre über Jahr-zehnte ererbten Kenntnisse sprießen und backen das spritzige Gebäck, das zu nach Zimt duftenden Getränken nach der Kaminstunde auf dem festlich geschmückten Tisch auf uns Leckermäuler wartet. Selbst die beiden Vogelkästen auf unserer Terrasse vor dem Fenster schmücken wir zum Weihnachtsfest mit leckeren Vogelkörnern und Futterringen. Was uns die daheimgebliebenen Vögel mit kleinen Liedchen der Dankbarkeit zollen.

Die Jahre sind der Zeit gefolgt und Omas und Opas fliegen mit ihr fort. Auch Vater ist auf der langen Reise - viel zu früh. Tante Klara bleibt nicht treu und wechselt noch so manchen Freund, und meine Eisenbahn bleibt somit buchstäblich in den Kinderschuhen stecken. Die ewig fließende Zeit zeigt aber auch ihre guten Seiten. Elisabeth und ich singen wieder zusammen. Wir treffen uns einmal im Monat. Die Runde am ersten Weihnachtstag ist sogar noch größer geworden. Wir sehen uns wieder in den dankbaren Augen unserer Kinder und Enkelkinder.

Wann ist es gemütlich? Wann ist es besinnlich? Wann ist uns wohlig warm vor dem Kamin? Wann sind wir freudig erregt und wehmütig zugleich? Wann sind unsere Stimmen leiser und unsere Worte zärtlicher? Ist es bei euch auch so? Geliebtes Weihnachten. Alle Jahre wieder.

 

Besuchen Sie auch die Homepage des Autors: www.kh-franzen.de